Dienstag, 17. Juni 2014

Das Bruttoinlandsprodukt in Deutschland wird bald steigen. Ein Grund zum Jubeln - oder?

Falls Sie sich so ab September wundern, wenn von einem gestiegenen Bruttoinlandsprodukt (BIP) die Rede ist (und das betrifft nicht nur das BIP von Deutschland, sondern auch die BIP der anderen EU-Länder): ab September gibt es neue Berechnungsgrundlagen für die statistische Erfassung und Berechnung des BIP.

Verdanken werden wir dies vor allem

a.) Dem Einbezug von illegalen Aktivitäten in die Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen
b.) Änderungen bei den Buchungen im Bereich "Forschung und Entwicklung" (FuE).

Die Änderungen im Bereich FuE sind für Deutschlands BIP am relevantesten. Ärmere Länder könnten überwiegen durch den Einbezug von illegalen Aktivitäten ihren BIP erhöhen; was letztendlich deren Schuldenquote deutlich senken könnte.

Zum Thema Einbezug von illegalen Aktivitäten:

Zukünftig werden EU-weit illegale Machenschaften wie Drogenhandel, verbotene Prostitution, Schwarzhandel mit Waffen und Alkoholschmuggel / Zigarettenschmuggel mit in das
BIP fließen. Folgende Frage stellt sich dann unwillkürlich: Wie berechnet man illegale Handlungen, wenn die naturgemäß im Verborgenen gehandhabt werden? Antwort: Man schätzt. Doch. Kein Witz. Hier der O-Ton dazu vom Statistischen Bundesamt:

"(...) Da es naturgemäß keine offiziellen Basisstatistiken gibt, die eine fundierte Erfassung von illegalen Aktivitäten erlauben, wird mit Hilfe von Indikatoren und Annahmen der quantitative Beitrag der illegalen Aktivitäten zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) und den anderen VGR-Aggregaten modellmäßig geschätzt.(...)"

Anm. d. Red: VGR = Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung

Auch die hierzulande grundsätzlich legale Prostitution wird dann in anderen Ländern mit Prostitutionsverbot geschätzt und entsprechend in deren BIP mit einberechnet (wie man das schätzt oder sonstwie ermittelt wissen wir in der Redaktion auch nicht so genau; wir verkneifen uns an dieser Stelle den Witz von wegen "Stichprobe"). Wegen der unterschiedlichen Rechtslage in Europa zählt das "horizontale Gewerbe" trotzdem zu den „Illegalen Aktivitäten“.

Alkoholschmuggel ist ebenfalls eher in anderen Ländern relevant, er wird daher hier in Deutschland - laut dem Statistischen Bundesamt - aufgrund der relativ niedrigen Preise wirtschaftlich keine Bedeutung haben.

Jetzt aber noch Einen zum Schluss zu diesem Thema: für die Hochrechnung von geschmuggelten Zigaretten wühlt man in Deutschland schon seit Jahren repräsentativ im Müll nach weggeworfenen Zigarettenschachteln (Packungen von illegalen Zigaretten sind nicht mit einer rechtmäßigen Steuerbanderole versehen). O-Ton Statistisches Bundesamt:

 "(...) Seit August 2004 führt der Deutsche Zigarettenverband diese Entsorgungsstudie durch. Hierfür werden in ca. 22 repräsentativ ausgewählten Entsorgungsgebieten der Dualen Systeme Deutschlands jeden Monat insgesamt mindestens 12.000 Zigarettenschachteln gesammelt und in einem zweiten Schritt vom Marktforschungsinstitut Ipsos ausgewertet. Die Auswertung und Hochrechnung erfolgt unter Berücksichtigung der Raucherstruktur in verschiedenen Teilen Deutschlands. (...)"

Insgesamt hat der Einbezug der illegalen Aktivitäten speziell für Deutschland beim BIP eine geringe Relevanz. Wie schon am Anfang des Artikels erwähnt, kommt diese Änderung am meisten dem BIP der ärmeren Ländern zugute.

Das Statistische Bundesamt dazu: "(...) Quantitativ sind die erwarteten Auswirkungen aufgrund der Einbeziehung der illegalen Aktivitäten im Vergleich zu den Auswirkungen der sonstigen Konzeptänderungen und datenbedingten Ände- rungen im Rahmen der VGR-Revision 2014 eher gering. Derzeit kann durch die Einbeziehung von Drogen- und Schmuggelaktivitäten voraussichtlich von einer Erhöhung des Bruttoinlandsprodukts um insgesamt etwa 0,1% ausgegangen werden.(...)"

Quelle und ganzer Text der oben zitierten Absätze: PDF, 77 KB vom Statistischen Bundesamt (Destatis):  Zur Erfassung illegaler Aktivitäten im Bruttoinlandsprodukt


Kommen wir jetzt zu b.) und damit den Änderungen bei Buchungen im Bereich "Forschung und Entwicklung" (FuE):

Die für Deutschland relevantesten BIP-Erhöhungen werden durch die methodischen Änderungen in der Abteilung FuE (Forschung und Entwicklung) erreicht. Aufwendungen werden zukünftig nicht mehr als Vorleistungen in die Produktion eingerechnet, sondern gelten ab September als Investitionen.

Zitat Statistisches Bundesamt:

"(...) Daraus wird für Deutschland mit der vorgesehenen Veröffentlichung ab September 2014 ein merklicher Niveauanstieg des Bruttoinlandsprodukts resultieren, vor allem da selbsterstellte FuE bei Unternehmen (Marktproduzenten) dann zu einer höheren Bruttowertschöpfung führt. (...)"

Auch bei den Militärgütern gibt es Änderungen: militärische Waffensysteme zählen dann zu den Anlagegütern, und ihre Anschaffung wird zukünftig als Investition gebucht. (Bislang wurden nur die zivil nutzbaren militärischen Anlagen als Investition gebucht. Man hebt damit die seit 1995 gültige Trennung zwischen zivil nutzbaren militärischen Anlagen und allen sonstigen militärischen Gütern auf. )

Zitat Statistisches Bundesamt:

"Dies wird damit begründet, dass militärische Waffensysteme kontinuierlich für die Bereitstellung von Sicherheitsdienstleistungen genutzt werden. Durch die Einbeziehung von Waffensystemen als Anlagegüter wird sich das deutsche Bruttoinlandsprodukt um die hierauf anfallenden Abschreibungen geringfügig erhöhen. (...)"

Was diese methodischen Änderungen speziell für den BIP von Deutschland voraussichtlich bedeutet erläutert die Zukunftsprognose des Statistischen Bundesamtes:

"Im Ergebnis ist zu erwarten, dass das BIP, vor allem aufgrund der neuen Behandlung von FuE-Aufwendungen, im Niveau merklich steigen wird. Nach einer ersten vorläufigen Schätzung ist für Deutschland mit einer Niveauanhebung des Bruttoinlandsprodukts von etwa 3 % aufgrund von Konzeptänderungen und -präzisierungen zu rechnen.(...)"

Quelle und ganzer Text der oben zitierten Absätze (PDF 93 KB): Generalrevision 2014: Methodische Weiterentwicklung der Volks-wirtschaftlichen Gesamtrechnungen

Freuen wir uns also auf Sternstunden des "investigativen Journalismus" in den entsprechenden Mainstream-Medien ab September...

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