Donnerstag, 29. März 2012

Beitragsexplosion bei den Privatkassen

Bundesweite Stichprobe der Verbraucherzentralen belegt Reformbedarf in der PKV

Privatkassen erhöhen teilweise massiv die Beiträge und erschweren einen Wechsel in kostengünstigere Tarife. So lautet der Vorwurf der Verbraucherzentralen nach einer bundesweiten Auswertung der Beschwerden von Privatversicherten. Der vzbv und die Verbraucherzentralen fordern die Bundesregierung auf, den Wechsel in einen günstigen Tarif beim Versicherer zu vereinfachen und allen PKV-Versicherten den Wechsel zu einem anderen Anbieter zu ermöglichen. Darüber hinaus sei eine grundlegende Reform der privaten Krankenversicherung überfällig.

In den vergangenen drei Monaten haben die Verbraucherzentralen bundesweit über 140 Beschwerden von Betroffenen über Beitrags- und Wechselprobleme in der Privaten Krankenversicherung (PKV) ausgewertet. „Unsere Befürchtungen wurden weit übertroffen“, bilanziert Michael Wortberg, Versicherungsexperte der Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz.

Beitragsexplosionen zum Jahreswechsel:

 In den überprüften Fällen stiegen die Versicherungsprämien zum Jahreswechsel im Schnitt um 23,9 Prozent. Besonders negativ fielen die Central Krankenversicherung und die Gothaer Versicherung mit einer durchschnittlichen Erhöhung von 28,4 Prozent beziehungsweise 26,4 Prozent auf. Negative Spitze war eine Erhöhung um 60 Prozent bei der Central. Besonders betroffen waren langjährige Bestandskunden und ältere Versicherte. Die Beschwerden umfassen mit wenigen Ausnahmen Verträge, die länger als zehn Jahre bestehen und Versicherte, die älter als 45 Jahre sind. „Kunden berichten, dass sie die Beitragshöhen im Ruhestand auf keinen Fall mehr zahlen können“, so Wortberg. In einem Extremfall zahlt eine 59-jährige Frau einen monatlichen Beitrag in Höhe von 1095 Euro.

Wechsel schwer gemacht

Die Erhebung zeigt auch, dass das Wechselrecht der Versicherten in einen günstigeren Tarif vielfach unterlaufen wird. Nur in vier der 144 ausgewerteten Fälle ist in den Unterlagen zu erkennen, dass der Wechsel problemlos durchgeführt werden konnte. Die Erhebung macht deutlich, dass in einem ersten Schritt vor allem die Wechselmöglichkeiten verbessert werden müssen. Hierzu ist es erforderlich, dass
  • der Versicherer spätestens zwei Wochen nach Eingang des Antrags über den Tarifwechsel entscheidet,
  • Neutarife so gestaltet sind, dass ein Tarifwechsel ohne Gesundheitsprüfung möglich ist,
  • bei einem Tarifwechsel keine Gebühren erhoben oder Prämienerhöhungen begründet werden,
  • die Kalkulationsgrundlagen bei Beitragserhöhungen nachprüfbar sind und den Berechnungen des Aktuars entsprechen,
  • die für die nach dem 1. Januar 2009 abgeschlossen Verträge eingeführte Möglichkeit, seinen Anbieter zu wechseln, auf alle in der PKV Versicherten erweitert wird.

Höchste Zeit für eine grundlegende Reform der PKV

„Unabhängig von den akuten Problemen müssen in der PKV grundlegende Änderungen vollzogen werden, um Gerechtigkeitsdefizite auszugleichen und Effizienzsteigerungen zu erzielen“, sagt vzbv-Vorstand Gerd Billen. Allen voran Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr müsse initiativ werden, um für gleiche Chancen und fairen Wettbewerb im Gesundheitswesen zu sorgen. Innerhalb der PKV fehle es an einer Qualitätssicherung bei den Leistungserbringern und einer wirksamen Kostendämpfung. „Die Folgen einer finanziellen Überforderung der Verbraucher dürfen nicht sozialisiert werden, sondern müssen innerhalb des PKV-Systems gelöst werden“, mahnt Billen. Als wesentliche Eckpunkte für eine verbrauchergerechte Reform der PKV nennt der vzbv:
  • Die Einführung des Sachleistungsprinzips: Die Abrechnung erfolgt nur noch zwischen Leistungserbringer und Versicherungsunternehmen. Der Verbraucher erhält eine Kopie der Abrechnung. Für den Verbraucher hat dies den Vorteil, dass er sich nicht mehr mit seinem Versicherer über die Erstattung der Kosten streiten muss. Die Versicherer können durch spezielle Verträge mit den Leistungserbringern einerseits ihre Aufwendungen senken, andererseits direkt kontrollieren, wann welche Leistungen erbracht wurden und ob diese auch medizinisch notwendig waren.
  • Die Angleichung der Gebühren: Für Leistungen, die dem Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenkassen entsprechen, dürfen die Leistungserbringer auch nur die Gebühren der GKV abrechnen. Dies würde eine Angleichung des Angebots und Service bei der medizinischen Versorgung unabhängig vom Versichertenstatus des Patienten ermöglichen und die tendenzielle Überversorgung der Privatversicherten eindämmen.
  • Eine Einkommenskomponente bei der Prämienkalkulation: Die Beiträge sollen nicht ausschließlich anhand des Risikos berechnet werden. Zusätzlich soll ähnlich wie beim Basistarif eine Kostendeckelung greifen, wenn die Beiträge die finanzielle Leistungsfähigkeit der Verbraucher übersteigen. Soziale Härten müssen dann über einen „Härtefall“-Fonds ausgeglichen werden, der innerhalb des PKV-Systems etabliert und durch PKV-Versicherte finanziert wird.

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